Wie viel Energie verbraucht Bitcoin tatsächlich?
Ist Bitcoin im Endeffekt sogar gut für die Umwelt?
Wie viel Energie sollte eine Branche verbrauchen? Derzeit stehen Organisationen auf der ganzen Welt unter dem Druck, den Verbrauch nicht erneuerbarer Energiequellen und den Ausstoß von CO2 in die Atmosphäre zu begrenzen. Doch die Frage, wie viel Verbrauch zu viel ist, ist komplex und mit Debatten über unsere Prioritäten als Gesellschaft verwoben.
Die Berechnung, für welche Güter und Dienstleistungen es sich "lohnt", diese Ressourcen auszugeben, ist schließlich eine Frage der Werte. Mit der zunehmenden Bedeutung von Bitcoin ist der Energieverbrauch zum jüngsten Brennpunkt in der Diskussion darüber geworden, was und für wen Bitcoin wirklich gut ist.
Oberflächlich betrachtet ist die Frage nach dem Energieverbrauch natürlich absolut berechtigt.
Nach Angaben des Cambridge Center for Alternative Finance (CCAF) verbraucht Bitcoin derzeit etwa 110 Terawattstunden pro Jahr - 0,55 % der weltweiten Stromproduktion oder ungefähr so viel wie der jährliche Energiebedarf kleiner Länder wie Malaysia oder Schweden (Stand Mitte 2021). Das hört sich nach einer Menge Energie an. Aber wie viel Energie sollte ein Geldsystem verbrauchen?
Wie man diese Frage beantwortet, hängt sicherlich davon ab, wie man über Bitcoin denkt. Wenn Sie der Meinung sind, dass Bitcoin keinen Nutzen hat, außer als Ponzi-Schema oder als Mittel zur Geldwäsche zu dienen, dann wäre es nur logisch, zu dem Schluss zu kommen, dass selbst der Verbrauch einer geringen Menge an Energie verschwenderisch ist.
Wenn Sie aber zu den zig Millionen Menschen weltweit gehören, die Bitcoin als Instrument nutzen, um der monetären Repression, der Inflation oder den Kapitalkontrollen in tyrannischen Ländern zu entkommen, sind Sie wahrscheinlich der Meinung, dass die Energie sehr gut angelegt ist.
Hat Bitcoin einen berechtigten Anspruch auf die Ressourcen der Gesellschaft? Das muss jeder für sich individuell beantworten.
Wenn wir diese Debatte sinnvoll führen wollen, sollten wir uns jedoch darüber im Klaren sein, wie Bitcoin tatsächlich Energie verbraucht. Den Energieverbrauch von Bitcoin zu verstehen, wird vielleicht nicht die Frage nach seiner Nützlichkeit klären, aber es kann dabei helfen, zu kontextualisieren, wie groß der Einfluss auf die Umwelt ist, den die Befürworter von Bitcoin wirklich sehen. Insbesondere gibt es ein paar wichtige Missverständnisse, die es wert sind, angesprochen zu werden.
Energieverbrauch ist nicht gleich CO2-Ausstoß.
Zunächst einmal gibt es einen wichtigen Unterschied zwischen dem Energieverbrauch eines Systems und dem CO2-Ausstoß.
Während die Bestimmung des Energieverbrauchs relativ einfach ist, kann man die damit verbundenen Kohlenstoffemissionen nicht extrapolieren, ohne den genauen Energiemix zu kennen - das heißt, die Zusammensetzung der verschiedenen Energiequellen, die von den Computern, die Bitcoin minen, genutzt werden.
So hat beispielsweise Energie aus Wasserkraft weitaus geringere Umweltauswirkungen als die gleiche Menge kohlebetriebener Energie.
Der Energieverbrauch von Bitcoin ist relativ leicht zu schätzen: Man kann sich einfach die Hashrate ansehen (d. h. die gesamte kombinierte Rechenleistung, die für das Mining von Bitcoin und die Verarbeitung von Transaktionen verwendet wird) und dann einige fundierte Vermutungen über den Energiebedarf der Hardware anstellen, die die Miner verwenden.
Die CO2-Emissionen sind jedoch viel schwieriger zu ermitteln. Das Mining ist ein hart umkämpftes Geschäft, und die Miner neigen dazu, nicht besonders offen über die Deatails ihrer Tätigkeit zu sprechen. Die besten Schätzungen über den geografischen Standort der Energieproduktion (aus denen ein Energiemix abgeleitet werden kann) stammen von der CCAF, die in Zusammenarbeit mit großen Mining-Pools einen anonymisierten Datensatz über die Standorte der Miner zusammengestellt hat.
Auf der Grundlage dieser Daten kann die CCAF Schätzungen über die Energiequellen anstellen, die Miner in den einzelnen Ländern und in einigen Fällen auch in den einzelnen Provinzen nutzen. Aber ihr Datensatz umfasst nicht wirklich alle Mining-Pools und ist auch nicht immer auf dem neuesten Stand, so dass wir immer noch weitgehend im Dunkeln tappen, wenn es um den tatsächlichen Energiemix von Bitcoin geht.
Darüber hinaus verallgemeinern viele hochkarätige Analysen den Energiemix auf Länderebene, was zu einem ungenauen Bild von Ländern wie z. B. China führt, welches eine extrem vielfältige Energielandschaft hat.
Infolgedessen gehen die Schätzungen darüber, wie viel Prozent des Bitcoin-Minings mit erneuerbaren Energien betrieben wird, weit auseinander. Im Dezember 2019 wurde in einem Bericht behauptet, dass 73 % des Bitcoin-Energieverbrauchs kohlenstoffneutral sei, was vor allem auf den Reichtum an Wasserkraft in wichtigen Mining-Zentren wie Südwestchina und Skandinavien zurückzuführen ist.
Andererseits schätzte die CCAF im September 2020, dass die Zahl eher bei 39 % liegt. Selbst wenn die niedrigere Zahl korrekt ist, ist das immer noch fast doppelt so viel wie das Stromnetz der USA, was darauf hindeutet, dass die Betrachtung des Energieverbrauchs allein kaum eine zuverlässige Methode zur Bestimmung der CO2-Emissionen von Bitcoin ist.
Bitcoin kann Energie nutzen, welche andere Industrien nicht nutzen können
Ein weiterer Schlüsselfaktor, der den Energieverbrauch von Bitcoin von dem der meisten anderen Industrien unterscheidet, ist, dass Bitcoin überall gemined werden kann.
Fast die gesamte weltweit verbrauchte Energie muss in relativer Nähe zu den Endverbrauchern erzeugt werden - Bitcoin hat keine solche Beschränkung und ermöglicht es den Minern, Energiequellen zu nutzen, die für die meisten anderen Anwendungen unzugänglich sind.
Die Wasserkraft ist das bekannteste Beispiel dafür. In der Regenzeit in Sichuan und Yunnan werden jedes Jahr enorme Mengen an erneuerbarer Wasserenergie verschwendet. In diesen Gebieten übersteigt die Produktionskapazität den lokalen Bedarf bei weitem, und die Batterietechnologie ist bei weitem noch nicht so weit fortgeschritten, dass es sich lohnen würde, Energie aus diesen ländlichen Regionen zu speichern und in die städtischen Zentren zu transportieren, die sie benötigen.
Diese Regionen stellen höchstwahrscheinlich die größte ungenutzte Energieressource der Welt dar, und so ist es kein Zufall, dass diese Provinzen das Herzstück des Mining in China sind, wo bis vor kurzem noch in der Trockenzeit fast 10 % und in der Regenzeit 50 % des weltweiten Bitcoin-Mining stattfanden.
Ein weiterer vielversprechender Ansatz für C02-neutrales Mining ist Erdgas. Bei der Ölförderung werden aktuell erhebliche Mengen an Erdgas als Nebenprodukt freigesetzt - Eine Energiequelle, die die Umwelt enorm verschmutzt, ohne jemals in das Netz zu gelangen.
Da diese Energie an den Standort abgelegener Ölminen gebunden ist, waren die meisten traditionellen Anwendungen bisher nicht in der Lage, diese Energie effektiv zu nutzen. Aber Bitcoin-Miner von North Dakota bis Sibirien haben die Gelegenheit ergriffen, diese ansonsten verschwendete Ressource zu Geld zu machen, und einige Unternehmen erforschen sogar Möglichkeiten, die Emissionen durch eine kontrolliertere Verbrennung des Gases noch weiter zu reduzieren.
Natürlich ist dies immer noch ein unbedeutender Akteur in der heutigen Bitcoin-Mining-Arena, aber zurückliegende Berechnungen legen nahe, dass es allein in den USA und Kanada genug abzufackelndes Erdgas gibt, um das gesamte Bitcoin-Netzwerk zu betreiben.
Die Monetarisierung von überschüssigem Erdgas mit Bitcoin verursacht natürlich immer noch einige CO2-Emissionen, und einige haben mit Recht argumentiert, dass diese Praxis ja quasi wie eine Subvention für die fossile Brennstoffindustrie wirkt und Energieunternehmen dazu anregt, mehr in die Ölförderung zu investieren, als sie es sonst tun würden.
Aber realistisch gesehen sind die Profite von Bitcoin-Minern nur ein Tropfen auf den heißen Stein im Vergleich zur Nachfrage anderer Industrien, die auf fossile Brennstoffe tatsächlich angewiesen sind - und diese externe Nachfrage wird wahrscheinlich nicht so bald verschwinden.
In Anbetracht der Tatsache, dass Öl in absehbarer Zukunft sicherlich weiterhin gefördert wird, ist die Ausbeutung eines natürlichen Nebenprodukts dieses Prozesses (und möglicherweise sogar die Verringerung seiner Umweltauswirkungen) ein Nettoprodukt.
Interessanterweise bietet die Aluminiumverhüttungsindustrie eine erstaunlich relevante Parallele. Der Prozess der Umwandlung von natürlichem Bauxiterz in brauchbares Aluminium ist sehr energieintensiv, und die Kosten für den Transport von Aluminium sind oft nicht unerschwinglich, so dass viele Länder mit einem Energieüberschuss Schmelzwerke gebaut haben, um ihre überschüssigen Ressourcen zu nutzen.
Regionen mit der Kapazität, mehr Energie zu produzieren, als vor Ort verbraucht werden kann, wie z. B. Island, Sichuan und Yunnan, wurden durch Aluminium zu Nettoenergieexporteuren - und heute haben dieselben Bedingungen, die sie zu Investitionen in die Verhüttung veranlassten, diese Orte zu erstklassigen Optionen für den Abbau von Bitcoin gemacht.
Es gibt sogar eine Reihe von ehemaligen Aluminiumhütten, wie die Hydro-Alcoa-Anlage in Massena, NY, die direkt zum Bitcoin-Miner umfunktioniert wurden.
Das Mining von Bitcoin verbraucht mehr Energie als die Verwendung von Bitcoin
Wie die Energie für Bitcoin-Mining erzeugt wird, ist nur ein Teil der Gleichung. Der andere Bereich, in dem es häufig zu Missverständnissen kommt, ist die Frage, wie Bitcoin tatsächlich Energie verbraucht und wie sich das im Laufe der Zeit wahrscheinlich ändern wird.
Viele Journalisten und Akademiker sprechen über die hohen "Energiekosten pro Transaktion" von Bitcoin, aber diese Kennzahl ist vollkommen irreführend. Der überwiegende Teil des Energieverbrauchs von Bitcoin entsteht während des Mining-Prozesses. Sobald die Bitcoin ausgegeben wurden, ist der Energiebedarf für die Validierung der Transaktionen minimal.
Daher macht es keinen Sinn, einfach den bisherigen Gesamtenergieverbrauch von Bitcoin zu betrachten und ihn durch die Anzahl der Transaktionen zu teilen - der größte Teil dieser Energie wurde für das Mining von Bitcoins verwendet, nicht für die Bitcoin-Transaktionen.
Das führt uns zum letzten kritischen Missverständnis: dass die Energiekosten, die mit dem Mining von Bitcoin verbunden sind, weiterhin exponentiell ansteigen werden.
Unkontrolliertes Wachstum ist unwahrscheinlich
Da der Energiebedarf von Bitcoin so schnell gewachsen ist, wird manchmal angenommen, dass Bitcoin irgendwann ganze Energienetze in Beschlag nehmen wird. Dies war die Prämisse einer weit verbreiteten Studie aus dem Jahr 2018, die kürzlich in der New York Times zitiert wurde und die schockierende Behauptung aufstellte, dass Bitcoin die Erde um zwei Grad Celsius erwärmen könnte. Es gibt gute Gründe zu glauben, dass dies nur grober Unfug ist und das so nicht passieren wird.
Erstens wird der Energiemix von Bitcoin, wie in vielen Branchen üblich, von Jahr zu Jahr weniger abhängig von Kohlenstoff. In den USA haben börsennotierte, zunehmend ESG-orientierte Mining-Unternehmen Marktanteile gewonnen, und China hat kürzlich den kohlebasierten Bergbau in der Inneren Mongolei, einer der größten verbleibenden kohlelastigen Regionen, verboten.
Gleichzeitig haben viele Organisationen innerhalb der Mining-Branche Initiativen wie den Crypto Climate Accord ins Leben gerufen - inspiriert durch das Pariser Klimaabkommen -, um sich für die Reduzierung des CO2-Fußabdrucks von Bitcoin einzusetzen und sich dazu zu verpflichten.
Da erneuerbare Optionen wie Solarenergie immer effizienter und damit für das Mining rentabler werden, könnte Bitcoin am Ende als ernsthafter Anreiz für Miner dienen, diese Technologien aktiv auszubauen.
Darüber hinaus ist es unwahrscheinlich, dass die Miner ihre Mining-Aktivitäten in dem derzeitigen Tempo unbegrenzt ausweiten können. Das Bitcoin-Protokoll subventioniert das Mining, aber diese Subventionen haben eingebaute Kontrollen für ihr Wachstum.
Heute erhalten die Miner geringe Gebühren für die Transaktionen, die sie während des Minings verifizieren (etwa 10 % der Miner-Einnahmen), sowie die Gewinnspannen, die sie beim Verkauf der von ihnen geschürften Bitcoins erzielen können.
Das Protokoll ist jedoch so aufgebaut, dass die emissionsabhängige Komponente der Miner-Einnahmen alle vier Jahre halbiert wird - wenn sich also der Bitcoin-Kurs nicht alle vier Jahre auf Dauer verdoppelt (was nach ökonomischen Gesichtspunkten für jede Währung praktisch unmöglich ist), wird dieser Anteil der Miner-Einnahmen schließlich auf Null sinken.
Was die Transaktionsgebühren angeht, so begrenzen die natürlichen Beschränkungen von Bitcoin in Bezug auf die Anzahl der Transaktionen, die verarbeitet werden können (weniger als eine Million pro Tag), in Kombination mit der begrenzten Toleranz der Nutzer, Gebühren zu zahlen, das Wachstumspotenzial dieser Einnahmequelle.
Wir können entsprechend davon ausgehen, dass die meisten Miner natürlich trotzdem weiterarbeiten werden, allein schon wegen der Transaktionsgebühren - tatsächlich hängt das Bitcoin-Netzwerk davon ab - aber wenn die Gewinnmargen sinken, wird der finanzielle Anreiz, in das Mining zu investieren, natürlich abnehmen.
Natürlich gibt es unzählige Faktoren, die die Auswirkungen von Bitcoin auf die Umwelt beeinflussen können - aber hinter all diesen Faktoren steht eine Frage, die viel schwieriger mit Statistiken und Zahlen zu beantworten ist:
Ist Bitcoin es wert? Es ist absolut wichtig zu verstehen, dass die meisten Umweltbedenken tatsächlich vollkommen übertrieben sind oder auf fehlerhaften Annahmen oder Missverständnissen bez. der Funktionsweise des Bitcoin-Protokolls beruhen.
Das bedeutet, dass, wenn wir fragen "Ist Bitcoin seine Umweltauswirkungen wert", die tatsächlichen negativen Auswirkungen, über die wir sprechen, wahrscheinlich viel weniger alarmierend sind, als wir vielleicht denken.
Aber es ist natürlich nicht zu leugnen, dass Bitcoin (wie fast alles, was in unserer Gesellschaft einen Mehrwert schafft, z. B. Wäschetrockner, Autos oder Spielekonsolen) auch enorme Ressourcen verbraucht.
Wie bei jeder anderen Energie verbrauchenden Industrie liegt es an der Bitcoin-Gemeinschaft, diese Umweltbedenken anzuerkennen und anzugehen, in gutem Glauben daran zu arbeiten, den CO2-Fußabdruck von Bitcoin wenn möglich zu reduzieren und letztendlich zu zeigen, dass der gesellschaftliche Wert, den Bitcoin bietet, die Ressourcen wert ist, die für seine Erhaltung benötigt werden.
Dieser Beitrag stammt von Nic Carter und ist im englischen Original hier zu finden: https://hbr.org/2021/05/how-much-energy-does-bitcoin-actually-consume